DIE FEHLERLOGIK
Schon Charles de La Roncière vermutete, dass bei der Verschlüsselung des Kryptogramms Zeichen versehentlich falsch geschrieben oder verwechselt wurden. Aufbauend auf diesem Hinweis wurde mit der hier vorgestellten „Fehlerlogik“ ein systematischer Ansatz entwickelt, um solche Unregelmäßigkeiten zu erfassen und nachvollziehbar zu korrigieren. Das Prinzip: Die Formähnlichkeit der Zeichen im verwendeten Code macht bestimmte Fehler nahezu unvermeidlich – etwa das Verwechseln von Nachbarzeichen oder Irrtum durch den falsch interpretierten Winkel eines Zeichens. Durch Anwendung dieser Logik mussten nur rund 15 % der Zeichen gezielt angepasst werden, wodurch die meisten, der zuvor unverständliche Stellen entschlüsselt werden können. Das Ergebnis: ein sinnvoller, historisch plausibler Text – und ein neuer Zugang zum Inhalt des Kryptogramms.

Charles de La Roncière (1870-1941)
Charles de La Roncière hat in seinem «Flibustier mystérieux» bereits den Hinweis geliefert, der den Weg aufzeigt, wie man dem rätselhaften Text im Kryptogramm auf die Spur kommt. Er schreibt:
«Ein weiterer Nachteil ist, dass der Pirat nicht immer den ersten Buchstaben der Gruppe mit einem Punkt ausgezeichnet hat, so dass man t lesen kann, wo eigentlich s stehen müsste, f, wo eigentlich e stehen müsste, etc.»)
Das heisst, de la Roncière selbst geht davon aus, dass beim Kodieren des Textes Fehler passiert sein müssen. Dass er dabei die Verwechslung von «Nachbarzeichen» nennt zeigt eindeutig, dass er von einer «Doppelbelegung» der einzelnen Felder im Kodierungsraster ausging (siehe unten Raster links).

Dies ist nicht selbstverständlich. Tatsächlich findet man häufiger die Darstellung mit 4 Rastern (rechts), bei der die Verwechslungsgefahr wesentlich kleiner ist, weil jeder Buchstabe seinen eigenen Platz hat. Der Code, der beim Kryptogramm zur Anwendung kam (links) hat drei Auffälligkeiten: Jeweils der erste Buchstabe in den Feldern ist gepunktet, der Buchstabe W fehlt und Z hat zwei Optionen: gepunktet und ungepunktet.
Wenn man bei der Option mit nur zwei Rastern die Logik der möglichen Fehlerquellen konsequent weiterdenkt, erkennt man schnell, dass im System Fehler angelegt sind, weil die Zeichen nur aus gewinkelten Strichen und Punkten besteht. Kommt dazu, dass die Kodierung in der praktischen Anwendung im 18. Jahrhundert von Hand mit Tinte und Feder geschah, was bei undeutlicher Handschrift die Fehlergefahr erhöht haben dürfte. Folgende Möglichkeiten ergeben sich:
- Nachbarzeichen werden verwechselt
- Winkelzeichen werden verwechselt
- Ein Punkt kann zu einem Strich verschmelzen oder ein Strich wird zu einem Punkt
- Es wird ein Strich zu viel oder zu wenig geschrieben
Daraus ergibt sich eine Varianten-Tabelle, die hilft, unverständliche Textteile über Ausprobieren von Alternativbuchstaben zu entschlüsseln. Die Buchstaben W, X und Y kommen im Kryptogramm nicht vor.

Die konkrete Anwendung
Lässt man die Zeilen 16 und 17 weg (die sich mit Hilfe der Fehlerlogik nicht befriedigend entschlüsseln lassen) bleiben insgesamt 467 Zeichen des Codes übrig. Davon mussten 73 entsprechend der obigen Tabelle verändert werden, um einen Sinn zu eruieren. Das ergibt eine Fehlerquote von lediglich 15.6%. Die Wechsel ergeben folgende Verteilung:
– Verwechslung von Nachbarzeichen: 54%
– falsche Winkel: 26%
– Punkt-Linie-Verwechslung: 5%
– Linie zu viel oder zu wenig: 10%
Dazu kommen noch 3 Fälle, bei denen ein Zeichen über 2 Schritte angepasst werden musste (5%).
Die häufigsten Fälle:
– 6x T zu S
– 5x N zu M
– 4x K zu L
– 4x V zu U
– 4x U zu E
Die folgende Illustration zeigt die Fehlerlogiktabelle und alle tatsächlich vorkommenden Fehler (weisse Zeichen bzw. Buchstaben). Dazu zeigen konkrete Beispiele die Plausibilität der Fehlerlogik.

Die komplette Übersetzung des Textes findet sich im Artikel «DIE NEUE TRANSKRIPTION» (nur für PREMIUM-Mitglieder).
Erwähnte Quellen:
– La Roncière, Charles de: Le flibustier mystérieux: histoire d’un trésor caché. Paris: Le Masque, 1934.
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